Es war eine Begegnung in der Waschküche, wie sie nur in den USA vorkommen kann. Die Frau mit den langen roten Locken und ich kannten uns bereits: Ungefähr zwanzig Minuten vorher hatte sie sich, als sie den Trockner des Motels in Santa Cruz, wo unsere beiden Familien untergekommen waren, benutzen wollte und diesen durch unsere Klamotten besetzt vorgefunden hatte, nebenbei auch nach meinem Befinden erkundigt. Gut gehe es mir, hatte ich geantwortet. Und wie, hätte ich hinzufügen können. Ich fuhr mit meiner Familie schon seit über einer Woche bei fast immer strahlendem Sonnenschein den berühmten Highway 101 entlang. Begonnen hatten wir unseren road trip zwar in Portland Oregon, aber von da aus war es nur eine Stunde bis an die Küste und seitdem zog der Pazifik unsere Blicke regelmäßig nach rechts und sowohl mein Mann als auch ich waren plötzlich begeisterte Beifahrer. Otherworldly war das Wort, das mir im Anblick mancher Küstenstreifen in Oregon am häufigsten in den Sinn kam, wenn ich die aus Lavagestein bestehenden, wie schwarze Streusel aus dem Meer herausragenden Einzelfelsen im scharfen Kontrast zum Sandstrand davor bestaunte. Wirklich, man könnte hier die nächste Folge von Star Wars drehen und auch ohne eine zweite Sonne am Himmel würde es bei mir als eine Landschaft in a galaxy far, far away durchgehen.
Von Oregon war es weiter nach Nordkalifornien gegangen, wo wir uns bei einem Abstecher zu den rostroten Baumriesen auf der Avenue of the Giants die Nacken nach oben verrenkten. Ein paar Tage später lernten wir einen weiteren rötlich schimmernden Giganten kennen, diesmal allerdings von Menschenhand gemacht: über die Golden Gate Bridge fuhren wir nach San Francisco und, ja, ich hatte mir eigens dafür Blumen ins Haar gesteckt.
Jetzt aber lag – sehr zu meinem Bedauern – auch diese Stadt und ihre malerische Bucht bereits hinter uns und wir waren in Santa Cruz eingetroffen, wo wir vor allem der Kinder zuliebe eine Nacht verbrachten, um in den im Vergleich zu unseren eben gemachten Reiseerlebnissen eher profanen Genuss des für seinen Vergnügungspark bekannten Santa Cruz Boardwalk zu kommen.
Doch das Motel war zumindest schon einmal angenehm und die Tatsache, dass wir nach vielen Tagen auf Achse eine Waschmaschine samt Trockner zur Verfügung hatten, ein definitives Plus. Weshalb ich und die rothaarige bekannte Unbekannte also gut gelaunt in der Waschküche standen, wo der Trockner laut Anzeige unsere Klamotten innerhalb der nächsten drei Minuten frisch gewaschen ausspucken und Platz für die nächste Kundschaft machen würde.
Bekanntermaßen entsteht in den USA in solchen Situationen normalerweise kein unangenehmes Anschweigen. Man plaudert. Und ohne dass ich viel nachfragen musste, erzählte mir Red Hair denn auch, was sie und ihre Familie in dieses Motel gebracht hatte. Das Lieblingsstück Strand ihrer Mutter war ganz in der Nähe. Dort waren sie gestern schon. Mit der Urne, in der sich die Asche ihrer Mutter befand. Sie hatten sie dort verstreut, genauso wie es Mama gewollt habe. Krebs. Nicht einmal neun Monate zwischen Diagnose und Tod. Die Krankheit kam überraschend, aber nicht ohne Grund: Nach 37 Jahren Ehe hatte der Vater die Mutter verlassen. Sich scheiden lassen. Gleich wieder geheiratet. Die Mutter wurde unmittelbar danach vom Krebs geküsst und Richtung Tod geführt.
Wie furchtbar, entfuhr es mir spätestens an dieser Stelle.
Ja, kam die Antwort, aber immerhin, ihre Mutter hat in den letzten Tagen ihren Frieden gefunden. Sogar ihrem Vater verziehen.
Wirklich? Wie das denn, wollte ich hinzufügen, aber mein rhetorischer Ausbruch wurde zu schnell beantwortet.
Ihre Mutter war sehr religiös. Überzeugte Christin eben, so die Tochter. Sie selbst könne es auch nicht ganz verstehen, aber als der Vater ans Sterbebett kam, war er derjenige, der weinte, und die Mutter diejenige, die tröstend und vergebend seine Hand hielt.
„Oh well, the clothes are probably dry by now.“
„I’m sorry.“ Ich fing an unsere Klamotten herauszuklauben.
„Oh, I’m fine. Enjoy the rest of your trip.“
„You too“, hätte ich fast gesagt, aber rechtzeitig formte ich die Worte zu einem „you take care now“ um.
Dann drückte ich meiner Tochter, die vor kurzem vom Pool gekommen war, um mir beim Hochtragen der Klamotten zu helfen, einen Kleiderhaufen in die Hände. Beim Herausgehen wandte ich mich Red Hair zu, aber ihr Kopf war irgendwo im Trockner verschwunden. Meine Tochter und ich gingen in Richtung unseres Zimmers.
„Kanntest du die Frau, Mama?“, fragte sie mich leicht verwundert.
„Nein. Wir haben nur kurz geredet, weil sie auf den Trockner gewartet hat.“
„Ach so“, antwortete sie.
Heute Abend beim Essen würde ich ihr versuchen zu erklären, warum dieses Gespräch dort, wo ihre Mutter aufgewachsen ist, so nie vorgekommen wäre. Ich werde mir dabei Mühe geben wertfrei zu bleiben. Im Ernst, was ist auch eigentlich schlimm daran, fremden Menschen sein Herz auszuschütten?
After all, who am I to judge?
Danke für deinen Kommentar, liebe Martina! Ich habe in Deutschland so etwas wirklich noch nie erlebt, vor allem weil es innerhalb weniger als fünf Minuten geschah… Die Geschichte vom Regionalexpress würde mich interessieren!
Liebe Sylvia, ein sehr schöner und anrührender Text … aber warum hätte dieses Gespräch in Deutschland nicht stattgefunden. Mir ist so etwas ähnliches schon mal im Regionalexpress passiert.😉 liebe Grüße aus Berlin